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Jeckes: Aber die Sprache bleibt

Aus über viele Jahre in Israel aufgezeichneten Interviews mit deutschstämmigen Juden, hat Salean A. Maiwald einen Extrakt erarbeitet. Ihre Gesprächspartner sprechen noch immer Deutsch, die Sprache der Kindheit und der Eltern – und das nach so vielen Jahrzehnten geretteten Lebens in Israel.

Mit ihrem neuen Buch „Aber die Sprache bleibt. Begegnungen mit deutschstämmigen Juden in Israel“, das im Karin Kramer Verlag, Berlin erschien, portraitiert Salean Maiwald 15 Frauen und Männern, die noch heute deutsch sprechen, die Sprache gepflegt und gesprochen haben, auch wenn es im neu entstandenen Staat Israel garnicht gerne gehört wurde…

Von Gudrun Wilhelmy

Es ist schwierig eine Entscheidung zu treffen, wessen Aussagen in einer kurzen Rezension vorgestellt werden sollen. Etwa jene von Gabriel Bach, der Hauptvertreter der Anklage im Eichmannprozess als Rechtberater der Regierung? Der sich in allen Details immer wieder den einzelnen Zeugenaussagen stellen musste und damit den Spuren der Vernichtung des europäischen Judentums in vielen Einzelheiten nachging. Der in Halberstadt geboren wurde und damit aus einem Zentrum jüdischen Lebens stammt.

Oder Fritz Wolf, der bis heute nicht nach seiner Vergangenheit gefragt werden möchte. Zu schmerzhaft wäre alles, was dabei über seine Lippen und hörbar würde. Heute noch kennt man in Israel sein Stück „Die Nahariyade“, das den Tageslauf eines Siedlers beschreibt. Nahariya war lange ein Ort, an dem sich überwiegend Juden aus Deutschland ansiedelten. Doch heimisch ist Fritz Wolf nach eigener Aussage nirgends mehr.

Oder Miriam Mishori, die sich ganz und gar in Israel heimisch fühlt und für die Deutsch ein Synonym für die Vergangenheit ist und Angstgefühle hervorruft. Die jahrelang als junge Frau in Holland studierte, ohne ihren Fuss über die nahe Grenze in die Bundesrepublik zu setzten. Die trotz dieser Ablehnung bis heute mit einem hörbaren Akzent Ivrith spricht, obwohl sie mit nur sieben Jahren nach Israel kam.

Oder Ruth Zucker, die als Graphologin für die Haganah arbeitete. Eine Fähigkeit, die bereits in ihrer Schulzeit in Deutschland entdeckt wurde, und die beim Präsidenten der Schweizer Graphologen Gesellschaft ihr Handwerk studierte.

Alle Befragten schildern auch die Anstrengungen der Eltern, in Israel ihren Lebensunterhalt zu verdienen, häufig völlig von vorne anzufangen: Sprachlich, wohnlich, beruflich und was dies für die Familie bedeutete. Vieles gleicht sich und durch alle Interviews zieht sich der traurige Verlust eines Zugehörigkeitsgefühls von Kindheit an.

Viele der Interviewten sind als sehr junge Menschen nach Israel ausgewandert, geflüchtet, eingewandert oder als Illegale an Land gegangen. Die einen als überzeugte Zionisten, die anderen dank hellsichtiger Eltern, wieder andere nach den überlebten Todesbedrohungen der Shoa.

Ihre Worte dringen tief ein, sie vermitteln das Gefühl des Verlusts von Menschenwürde und Zugehörigkeitsgefühl in Deutschland und die Fremdheit bei der Ankunft in Israel. Sie kamen in ein Land, das ihnen als einziges ein Überleben sicherte, aus Europa in den Orient. Die Sprache des Landes haben alle gelernt, die einen schnell, die anderen mühsam. Häufig sind die Ehepartner/innen ebenfalls deutschsprachig. Und so bleibt Deutsch Sprache im eigenen Haus, in der Liebe, in den persönlichen Beziehung, aber auch mit den Nachbarn im Kibbuz oder der Leser/innen deutschsprachiger Werke.

Und erneut geht eine Welt unter, die sie mit aufgebaut und gelebt haben: Die der Jeckes in Israel. Die Geschichte der grossen und kleinen Welt lässt Menschen hinter sich, die bitter erfahren mussten, Spielball von Politik zu sein. Doch alle sind sich bewusst, dass Israel das Land ist, das ihnen ein Überleben vor der Todesmaschinerie sicherte. Bei aller Kritik, sie bleiben im Land, aus Dankbarkeit und aus Solidarität. Einige von ihnen könnten zu einem „Jeckes-Museum“ in Israel vieles beisteuern.

Dieses Buch wird in allen Altersgruppen Leser finden, ein Buch dessen Foto-Portraits Menschen zeigen, die in ihrem Leben gekämpft haben: Um das nackte Überleben, um das Überleben als Mensch, um das Überleben der Muttersprache in einer fremden Welt. Es geht um Menschen, deren Träume, Wünsche und Ziele begraben wurden und die unter den Bedingungen des Alltags in Israel unrealisierbar blieben. Auch geglückte Lebensläufe zeigen Menschen, die noch immer fassungslos sind bei der Tatsache, dass sie sich einer Gesellschaft zugehörig fühlten, die sie gänzlich aus sich herausreissen wollte. Eine Wunde, die nicht heilen kann.

Salean A. Maiwald: Aber die Sprache bleibt. Begegnungen mit deutschsprachigen Juden in Israel, Karin Kramer Verlag Berlin 2008, 200 Seiten, ISBN 978-3-87956-327-2, Euro 18,00.
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Salean A. Maiwald wurde in Wuppertal geboren. Sie studierte Psychologie und Kunst in Tübingen und lebt seit 1983 als freie Malerin und Autorin in Berlin. Sie erhielt verschiedene Stipendien und veröffentlichte zahlreiche Publikationen, u.a. ein Buch zur Geschichte der Aktdarstellungen von Künstlerinnen. Seit 1983 wurde ihre Malerei in diversen Ausstellungen gezeigt, eine ihrer Malaktionen fand im Rahmenprogramm der Dokumenta 8 in Kassel statt.